01Juni
2016

Mein Leben im Slum

Nun komme ich einmal dazu zu berichten, wie mein alltägliches Leben und mein Umfeld in Mwanza aussehen. Mwanza ist die zweitgrößte Stadt Tansanias und liegt direkt am Viktoriasee. In einem Slum, etwa 5 km. vom Stadtzentrum entfernt, lebe ich in einem Freiwilligenhaus. Nach europäischem Standard würde ich sagen, haben wir ein sehr einfaches Haus. Für hiesige Verhältnisse leben wir aber im Luxus. Fließend Wasser und geflieste Böden wie wir es haben, gehören hier nicht zum Standard. Derzeit sind wir hier drei Freiwillige. Hinzu kommen unsere „Mama“ und ihre Familie, welche regelmäßig im Haus sind. Damit wir uns voll und ganz auf unsere Arbeit konzentrieren können und der Haushalt unter unserer Männerwirtschaft nicht leiden muss, kümmern sich hauptsächlich Mama und ihr Sohn Kiba um den Haushalt und den Garten. Aus Dankbarkeit für den Job und die Unterstützung der Familie durch die Charity wurde Jürgen, dem Gründer unserer Charity eine besondere Ehre zuteil. Eines der beiden jüngsten Mitglieder der Familie, Mamas Enkel und Zwillinge, wurde nach unserem Gründer benannt – Jürgen. Ein nicht ganz typischer Name in Tansania.

Mama ist 54 Jahre alt und überall in der Umgebung bekannt und respektiert. Neben der Fürsorge für uns und ihre Familie setzt sie sich außerdem unter anderem für Straßenkinder ein, sammelt Bücher für sie und führt verschiedene Projekte mit ihnen durch. Die Kommunikation ist nicht immer einfach, da Mama nur Swaheli spricht, aber wir haben inzwischen auch schon die wichtigsten Wörter gelernt und so weiß man letzten Endes doch immer was der andere meint.

Kiba ist 19 Jahre alt und genau wie der Rest der Familie kein Angestellter sondern vielmehr ein Freund. Kiba ist ein typisches Beispiel für einen Jugendlichen in Tansania. Er hat Mwanza in seinen 19 Lebensjahren noch nie verlassen, ist fertig mit der Schule, hat keinen Job aber dafür große Träume. Soldat möchte er werden oder in einer Goldmine arbeiten -  wie sein Vater. Das Dilemma ist jedoch, dass es nur wenige Arbeitsplätze und noch weniger Geld für mögliche Ausbildungen gibt. Zeitweise arbeitet er auf dem Bau und erhält dafür einen Tageslohn von etwa 2€. Fast die Hälfte davon braucht er allein für die Fahrt zur Arbeit und die dortige Verpflegung. Man erlebt Kiba aber niemals unzufrieden und wenn es um Fußball geht, ist er voll in seinem Element. Mehrmals die Woche spielt er mit seinen Freunden und mit seinem Wissen über das aktuelle Geschehen im Weltfußball kann ihm kaum einer was vormachen.

Wenn wir in Mwanza unterwegs sind, wird uns oft „Muzungu, Muzungu“ hinterher gerufen. Muzungu ist das Wort für Menschen mit weißer Hautfarbe. Da man natürlich auffällt, wird man oft angesprochen, aber fast immer im positiven Sinne. Oftmals lassen kleine Kinder auch alles stehen und liegen wenn sie uns sehen, gucken uns mit großen Augen an und sagen „How are you? I’m fine“. Auch wenn wir Freiwillige uns als Teil unseres Viertels fühlen, wird uns tagtäglich durch zahlreiche Bevorzugungen, erhöhte Aufmerksamkeit und – seltener- Benachteiligungen bewusst, dass wir anders aussehen bzw. eine andere Hautfarbe haben. Hier bekommt man ein Gefühl dafür, wie sich Personen fühlen können, welche äußerlich nicht unter die Bezeichnung „Durchschnitt“ oder „normal“ fallen.

 

Während bei uns in Deutschland die kleinen „Tante-Emma-Läden“ nahezu ausgestorben sind, findet man hier an jeder Ecke und in jeder noch so abgelegenen Straße kleine Läden um sich mit dem Nötigsten zu versorgen. Aber auch hier sieht man trotz der einfachen Lebensbedingungen mehr und mehr den Einfluss des Westens. In Mwanza wurde beispielsweise vor kurzem ein großes Einkaufszentrum gebaut. Zwar hat derzeit nur ein Laden geöffnet, aber in diesem hat man ein riesiges Angebot an Waren. Nimmt dieser Trend weiter zu und können die Waren in den großen Einkaufszentren günstig angeboten werden, wird es verdammt schwer für jene Menschen, deren Existenz von ihrem Laden abhängt.

 

Dazu kommt, dass viele Einheimische scheinbar unter chronischen Geldproblemen leiden. Selbst bei unseren Freunden und Vertrauten ist es keine Seltenheit, dass sie uns nach Geld fragen. Schließlich ist es hier normal, dass die Familie sich gegenseitig unterstützt und man Freunde und Bekannte fragt, falls es mal eng wird. Aufgrund dieses großen Familienzusammenhalts kommt aber doch irgendwie jeder über die Runden.  Eine positive Eigenschaft zu anderen Kulturen ist bei den Tansaniern, dass sie so gut wie nie negativ reagieren, falls man Anfragen jeglicher Art ablehnt. Auch beim Thema Geld lässt sich wieder ein nur schwer nachvollziehbarer Gegensatz finden. Trotz chronischer Klammheit besitzen sehr viele Tansanier zwei Handys – ein Smartphone und ein Tastentelefon.

 

An dieser Stelle möchte ich einmal deutlich machen, dass alle meine Schilderungen rein subjektiv sind und auf meinen persönlichen Erfahrungen und Ansichten beruhen. Ich erhebe also keinen Anspruch auf Vollständigkeit und Richtigkeit.